An article in the Zurich newspaper.
Die erfolgreiche Behandlung von Erektionsst”rungen
Konkurrenz fr die ®Potenzpille¯ Viagra
Von Kurt Lehmann*
Vergangene Woche fand in San Diego der amerikanische Urologenkongress statt. Viel Aufmerksamkeit wurde dabei dem Thema Erektionsst”rungen gewidmet. Neben der ®Potenzpille¯ Viagra drften betroffenen M„nnern bald auch andere Mittel zur Verfgung stehen.
Ein Mann, der w„hrend mindestens sechs Monaten keine gengend starke Erektion zustande bringt, die ihm ein befriedigendes Sexualleben erm”glichen wrde, leidet definitionsgem„ss unter erektiler Dysfunktion. Man sch„tzt, dass etwa 10 bis 15% aller M„nner von dieser St”rung betroffen sind. Bei den M„nnern im Alter von 40 bis 70 Jahren weisen 17% eine leichte, 25% eine mittlere und 10% eine vollst„ndige Dysfunktion auf. Die Erektionsst”rung kann sich auch auf die Partnerschaft auswirken, wobei bei beiden Personen Beruf, Selbstbewusstsein und Lebensqualit„t in Mitleidenschaft gezogen werden.
Die Patienten, die heute „rztliche Hilfe beanspruchen, sind im Durchschnitt 54 Jahre alt. Beim Arzt erscheinen sie etwa zwei Jahre nach Beginn der St”rung wegen nur kurz anhaltenden, anderthalb Minuten andauernden, schwachen Erektionen, die in etwa der H„lfte der F„lle keine Penetration mehr erlauben. Einigen gelingt es, das Glied kurzzeitig oder mit manueller Hilfe doch noch einzufhren. Bemerkenswert ist aber, dass bei 93% der Betroffenen die Libido und bei 86% die Orgasmusfunktion intakt sind. Angesichts der weiten Verbreitung von Erektionsst”rungen verwundert es nicht, dass die krzliche Zulassung der neuen ®Potenzpille¯ Viagra in den USA einen derartigen Wirbel ausgel”st hat.
Anatomie und Physiologie
Der Penis besteht einerseits aus dem spongi”sen und andererseits den beiden kavern”sen Schwellk”rpern, die alle durch eine feste Schicht - die Tunica albuginea - eingefasst werden (siehe Bild). Der spongi”se Schwellk”rper, durch den die Harnr”hre verl„uft, bildet die Eichel und tr„gt nicht zur Erektion bei. Die Festigkeit des Gliedes wird durch die beiden kavern”sen Schwellk”rper vermittelt. Diese setzen sich aus zahlreichen kleinen Hohlr„umen, den Sinusoiden, zusammen. Im Raum zwischen den einzelnen Sinusoiden befinden sich glatte Muskelzellen sowie Bindegewebe.
Die Erektion ist ein komplexes Ph„nomen, bei dem sowohl Nervenimpulse als auch die Blutversorgung eine wichtige Rolle spielen. Im wesentlichen versteift sich das Glied auf Grund von Ver„nderungen im Blutfluss, wobei sich Blut im Penis ansammelt. Vereinfacht l„sst sich der Mechanismus mit der Funktion von Schiffschleusen vergleichen. In den Penis gelangt das Blut durch kleine Spiralarterien, die in die Sinusoide mnden. Das Blut verl„sst die Sinusoide wieder ber feine Venen, die sich zu gr”sseren Venen vereinigen, bevor sie durch die tunikale Vene austreten.
Kommt es zu einer sexuellen Stimulation, so wird zun„chst Stickoxid freigesetzt, das zu den Penisarterien und den Sinusoiden diffundiert. Dort l”st es biochemische Kaskaden aus, in deren Folge sich die umliegenden glatten Muskelzellen entspannen. Die Arterien erweitern sich, so dass Blut vermehrt in die Sinusoide einstr”men kann. Die sich fllenden Sinusoide dehnen die Venen an der Oberfl„che und drcken sie gleichzeitig gegen die Tunica albuginea. Dies hat zur Folge, dass das Blut weniger gut abfliessen kann und im Schwellk”rper zurckbehalten wird, wodurch sich das Glied versteift. Der Druck im Penis steigt von anf„nglich 10 auf etwa 80 mm Hg an und nimmt bei der Ejakulation weiter zu. Erst der erfolgte Samenerguss leitet die Erschlaffung ein, indem sich die glatten Muskelzellen in den Arterien und den Sinusoiden wieder zusammenziehen. In der Folge wird der Blutfluss in den Arterien gedrosselt, in den subtunicalen Venen dagegen gesteigert.
Ursachen fr Erektionsst”rungen
In etwa 10 bis 30% der F„lle lassen sich psychische Ursachen wie Depressionen, Angst vor dem Versagen und Beziehungsprobleme als Grund fr die Erektionsst”rung ausmachen. In der Mehrzahl der F„lle stehen jedoch organische Ursachen wie neurologische, hormon- und gef„ssbedingte Erkrankungen im Mittelpunkt.
Das sexuelle Verlangen und die Qualit„t der Erektionen nehmen mit dem Alter ab. So haben Gewebeuntersuchungen ergeben, dass die glatten Muskelzellen mit zunehmendem Alter vermehrt durch Fasern ersetzt werden. Dieser physiologische Umbau allein fhrt jedoch nicht zur erektilen Dysfunktion, Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus, hoher Cholesterinspiegel sowie eingeschr„nkte Nierenfunktion k”nnen den Umbau aber verst„rken. Neben neurologischen und psychologischen Erkrankungen k”nnen zudem auch gr”ssere chirurgische Eingriffe im Beckenbereich sowie Medikamente, die gegen Bluthochdruck und bei psychiatrischen Erkrankungen eingenommen werden, den physiologischen Umbau des Gewebes beschleunigen.
Viagra - das erste oral verabreichte Mittel
Mit Viagra steht M„nnern erstmals ein oral verabreichtes Mittel gegen Erektionsst”rungen zur Verfgung. Viagra erzielt seine Wirkung, indem es in die Regulation des Blutflusses eingreift. Wie bereits erw„hnt, wird nach einer sexuellen Stimulation Stickoxid freigesetzt, das ein Enzym, die Guanylat-Zyklase, aktiviert. Diese bildet ein kleines Molekl namens cGMP, welches die glatten Muskelzellen in den zufhrenden Arterien und im Schwellk”rper entspannt. In der Folge str”mt Blut vermehrt in den Penis, der Blutabfluss durch die Venen wird hingegen vermindert. Das cGMP wird von einem weiteren Enzym, der Phosphodiesterase Typ 5, wieder abgebaut. Viagra hemmt genau dieses Enzym, wodurch das cGMP seine Wirkung l„nger entfalten kann.
Viagra sollte etwa eine Stunde vor dem Geschlechtsverkehr auf nchternen Magen eingenommen werden. Nach 12 bis 25 Minuten beginnt das Medikament zu wirken. Viagra wird gew”hnlich in einer Dosis von 50 mg verabreicht. Je nach Erfolg kann die Dosis dann auf 100 mg erh”ht oder auf 25 mg halbiert werden. Dosen von ber 100 mg sind sinnlos, da dabei nur die Nebenwirkungen, nicht aber die Wirkung zunehmen. Wie man inzwischen weiss, kann Viagra n„mlich verschiedene Nebenwirkungen ausl”sen. Dies rhrt daher, dass das cGMP und dessen Abbauenzym nicht nur im Penis, sondern auch in anderen K”rpergeweben vorkommen. Im Auge zum Beispiel kommt ein sehr „hnliches Abbauenzym, die Phosphodiesterase Typ 6, vor. Viagra wirkt zwar 10mal st„rker auf den Typ 5 als auf den im Auge vorherrschenden Typ 6. Dennoch verursacht Viagra Nebenwirkungen im Auge. Ver„nderungen bei der Wahrnehmung von Blau und Grn sowie eine erh”hte Lichtempfindlichkeit k”nnen bis zu zwei Stunden nach Einnahme von Viagra anhalten. Diese Sehst”rungen sind dosisabh„ngig. Mit einer Dosis von 25 mg treten sie bei 1% der Personen auf, mit 50 mg bei 4% und mit 100 mg bei 10% der Personen.
Auch die anderen gemeldeten Nebenwirkungen nehmen mit steigender Dosis zu: Kopfschmerzen treten je nach Dosis in 8 bis 26% der F„lle auf, Err”ten der Gesichtshaut in 13 bis 28%, Magenbeschwerden in 1 bis 10% und Schwellungen der Nasenschleimh„ute in bis zu 4% der F„lle. Es ist zudem bekannt, dass Viagra die Wirkung von Nitraten, die in gewissen Herzmitteln enthalten sind, verst„rkt. Viagra darf daher in keinem Fall zusammen mit Nitraten eingenommen werden, da es zu lebensgef„hrlichem Blutdruckabfall und Herzrasen kommen kann. Ob sich die vor kurzem gemeldeten Todesf„lle tats„chlich auf die gleichzeitige Einnahme von Nitraten zurckfhren lassen, ist noch nicht gekl„rt. Sie machen aber deutlich, dass bei jedem Patienten eine grndliche Abkl„rung der Ursachen der Dysfunktion erfolgen muss, bevor Viagra abgegeben werden darf.
Bis heute sind etwa 1,5 Millionen Rezepte fr Viagra ausgestellt worden. Bemerkenswert ist, dass die Todesfallrate unter jener liegt, die in einer vergleichbaren Periode in einer Population derselben Gr”sse normalerweise beobachtet wird. Viagra weist eine sehr hohe Wirksamkeit auf. Selbst bei einer schweren Dysfunktion vermag dieses Medikament in 50 bis 70% der F„lle eine Erektion herbeizufhren. Bei Frauen ist das Medikament noch nicht getestet worden, die ersten Studienergebnisse werden fr Anfang 1999 erwartet. Aus Tierversuchen geht jedoch bereits hervor, dass das Mittel die Embryonalentwicklung st”ren kann. So hatte die Abgabe des Mittels an schwangere Tiere die Geburt von blinden Jungtieren zur Folge.
Obwohl sich heute alle Aufmerksamkeit auf Viagra richtet, drfte dieses Medikament nicht lange das einzige Potenzmittel in Pillenform bleiben. In den USA ist n„mlich bereits fr ein weiteres Medikament die Zulassung beantragt worden. Vasomox blockiert die sogenannten α-Rezeptoren, wodurch ebenfalls eine Entspannung der glatten Muskelzellen im Schwellk”rper herbeigefhrt wird. Bisherige Untersuchungen haben ergeben, dass Vasomox bei 33% der Patienten wirkt. Bessere Resultate verspricht man sich von einer Kombinationsbehandlung mit Viagra und Vasomox.
Therapie durch Injektion
Viagra ist mittlerweile zwar das bekannteste, aber nicht das erste Mittel gegen Erektionsst”rungen. Schon seit den achtziger Jahren kommt Alprostadil, das den Wirkstoff Prostaglandin E1 enth„lt, zur Anwendung. Im Gegensatz zu Viagra muss die Substanz aber injiziert werden. Bei der sogenannten Schwellk”rper-Auto-Injektions-Therapie wird das Mittel mit einer sehr feinen Nadel direkt in den Penis gespritzt. Innerhalb von 5 bis 15 Minuten kommt es zur Erektion. Caverject, wie das Pr„parat heisst, geh”rt zu den wirksamsten Methoden gegen Erektionsst”rungen berhaupt, sprechen doch 73% der Betroffenen auf diese Behandlung an.
Caverject vermag nicht nur die Sexualit„t, sondern auch das Selbstwertgefhl, das Wohlbefinden, die Partnerschaft und die Lebensqualit„t der Betroffenen zu verbessern. šber 90% der langfristigen Anwender zeigen sich mit dieser Methode zufrieden. Als Nebenwirkung k”nnen infolge der Injektionen jedoch Schmerzen und in seltenen F„llen H„matome und Narbenbildungen auftreten. Nachteilig an dieser Therapie ist zudem die relativ hohe Priapismusrate. So kommt es in 1,2% der F„lle nach der Injektion zu einer w„hrend Stunden anhaltenden, oft schmerzhaften Dauererektion. Es hat sich indessen gezeigt, dass der Priapismus mit der Zeit nicht mehr auftaucht. Etwa 2/3 der Patienten geben Caverject aber innerhalb von 4 Jahren auf, weil ihnen das Sexualleben zu knstlich war. Die Erektion endet nicht mit der Ejakulation, sondern erst nach dem Abbau der pharmakologisch aktiven Komponenten.
Seit kurzem existiert Alprostadil auch in Tablettenform, es wird unter dem Namen Muse vertrieben. Muse wird mit einem Applikator in die Harnr”hre eingefhrt. Der Wirkstoff gelangt zun„chst in den spongi”sen Schwellk”rper, von wo aus es ber feine Venen in den kavern”sen Schwellk”rper diffundiert. Die Wirksamkeit bei dieser Verabreichungsform liegt mit 43% unter derjenigen von Caverject. Erektionen treten mit Muse nicht ausnahmslos auf, vielmehr bedarf es dazu der zus„tzlichen manuellen Stimulation des Gliedes. Dafr wird der Priapismus bei dieser Verabreichungsform „usserst selten beobachtet. Muse ist in den USA seit einem Jahr auf dem Markt und steht auch in der Schweiz kurz vor der breiteren Einfhrung.
Die „lteste, auch heute noch zur Anwendung kommende Therapie gegen Erektionsst”rungen ist die auf mechanischen Prinzipien beruhende Vakuumerektionshilfe. Sie wurde bereits 1917 patentiert. Bei dieser Methode wird ein Kunststoffzylinder luftdicht ber das Glied gestlpt und mittels Pumpe ein Unterdruck hergestellt. Der Penis fllt sich dadurch passiv mit Blut. Nach Erreichen einer gengenden Festigkeit wird ein Gummiring an der Basis des Penis angelegt, wodurch der Blutabfluss unterbunden wird. Die Blockade darf nicht l„nger als 30 Minuten andauern. Die fehlende Zirkulation fhrt zu einer Abkhlung der Oberfl„chentemperatur des Gliedes um 1§C, die die Partnerin unter Umst„nden st”ren kann. Die Erektion ist zwar eher h„ngend, gengt aber zur Penetration. Oft wird die Ejakulation durch den Ring behindert. Dennoch sind mit der Vakuumerektionshilfe, von der es inzwischen zahlreiche Modelle gibt, gute Erfahrungen gemeldet worden.
Sexuelle Dysfunktionen bei der Frau
Die Zahl der Mittel gegen Erektionsst”rungen drfte in den kommenden Jahren sprunghaft ansteigen. Mit Sicherheit wird man die erektile Dysfunktion in Zukunft auch ber die Gentherapie angehen. Im Tierversuch gelang es mit der Gentherapie bereits, Erektionen w„hrend 1 bis 3 Monate wiederherzustellen. Eine weitere Entwicklung, die sich heute abzeichnet, ist die Erforschung von sexuellen Funktionsst”rungen bei der Frau. Diese St”rungen, die wesentlich weiter verbreitet sind, als gemeinhin angenommen wird, lassen sich unter anderem auf hormonale Ver„nderungen und auf eine gest”rte Durchblutung der Vagina zurckfhren. Vermutlich spielen psychische Komponenten dabei eine wichtige Rolle.
* Der Autor ist Oberarzt am Kantonsspital Basel.
Neue Zrcher Zeitung vom 10.06.98 |